Liebe Freundinnen und Freunde der IBA’27,
bereits 2016 beim Plattformprozess zur Vorbereitung der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27) befasste sich ein Impulsvortrag mit der Idee der »produktiven Stadt«. Viereinhalb Jahre später ist die IBA in vollem Gang, Projekte nehmen Form an, Beteiligungsprozesse laufen, Wettbewerbe sind ausgeschrieben oder bereits entschieden, bei manchen Vorhaben wird bereits Baurecht geschaffen. Dabei wird eines immer deutlicher: Die produktive Stadt – besser noch: die produktive Stadtregion – ist der rote Faden, der aus Ideen, Themen und Projekten der IBA’27 eine Geschichte webt.
In der produktiven Stadt verdichten sich die Ideen zur Überwindung der Funktionstrennung. Aus guten Gründen wurden in der Industrialisierung die Fabriken vor die Tore der Stadt gebaut: dorthin, wo sie niemanden belästigten und wo Energie und Rohstoffe vorhanden waren. Mit der »Charta von Athen« 1933, spätestens in der Nachkriegszeit, wurde die räumliche Aufteilung der städtischen Funktionen dann zum planerischen Grundsatz. Und so erleben wir heute vielerorts eine zerfledderte Stadtlandschaft: Wohnsiedlung, Abstand, Gewerbegebiet, Abstand, Einkaufszentrum, Abstand, Fabrik. Das verschlingt Fläche und produziert Mobilität. Und allenfalls für das Stadtzentrum, den Dorfkern und die Wohnsiedlung stellen wir gewisse Ansprüche an die Qualität der Architektur, der Häuser, der Außenräume.
Dass Arbeiten, Wohnen und Freizeit in gemischten Quartieren heute wieder näher zusammenrücken sollen, ist zumindest in der Fachwelt weitgehend Konsens. Büros und Praxen, Einzelhandel und Gastronomie, Co-Working-Spaces, vielleicht auch ein kleiner Handwerksbetrieb oder eine hippe Mikrobrauerei mit Wohnungsbau zusammenzubringen, das gehört in vielen Städten mittlerweile zum Repertoire der Planung. Es fällt aber auf, dass die handfeste Industrie häufig ausgeklammert wird. Eine Fabrik? Die ist bis heute höchstens Teil dessen, was der Stadtplaner Thomas Sieverts die »Zwischenstadt« getauft hat: Die wuchernden Unorte für, so Sieverts, »all das, was die schöne, geliebte, klassische europäische Stadt nicht aufnehmen konnte oder nicht aufnehmen wollte.«
Was aber wäre, wenn wir das alles zusammen als »Stadt« verstünden?
Die Region Stuttgart beklagt gleichermaßen einen Mangel an Flächen für die Industrie und einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Warum nicht beide Fliegen mit einer Klappe schlagen und dabei auch noch die meist banalen Gewerbegebiete aufwerten? So könnte aus der Not eine Tugend werden: Dank digitaler, emissionsarmer »Industrie 4.0« bekommt das Herstellen von Dingen wieder Platz in der Stadt, sorgt für kurze Wege und attraktive Arbeitsplätze. Darüber gibt es Wohnraum für alle Gesellschaftsschichten, daneben Orte zum Treffen und Lernen, für Kultur und Freizeit. Im Gegenzug kommt die Stadt ins Gewerbegebiet: Statt einstöckiger Blechkisten mehrstöckige, multifunktionale, anpassbare und langlebige Gebäude, in denen Dinge produziert und erdacht werden, in denen Sport getrieben, gutes Essen genossen und gewohnt wird. Abwärme aus der Produktion heizt Wohnräume, die Kantine wird abends zum Restaurant, der Besprechungsraum am Wochenende zum Nachbarschaftskino. Daneben und dazwischen, vielleicht auch auf manchen Dächern: Landwirtschaft, die stadtnah und nachhaltig Lebensmittel produziert, und Grünräume, die weder von neuen Einfamilienhausteppichen noch von ausufernden Gewerbeflächen bedroht sind.
Zusammen mit der IBA’27 wollen einige Kommunen mutig Schritte in diese Richtung gehen und das Bild einer produktiven Stadtregion im 21. Jahrhundert mitzeichnen. Wir sind zuversichtlich, dass damit aus den besonderen Potenzialen der Region Stuttgart etwas Neues entstehen kann, eine authentische Geschichte, die wir 2027 der Welt erzählen wollen.
Ihr Andreas Hofer